Warum sich Spender*innen für Geflüchtete aus der Ukraine selten binden

Nachdem in den letzten Jahren die Anzahl der Spendenden in Deutschland kontinuierlich zurückging, sind die Zahlen im letzten und diesem Jahr angestiegen. Schaut man sich die Zahlen genauer an, dann wird deutlich: Dieser Anstieg wurde von Spender*innen ausgelöst, die auf die Flutkatastrophe an der Ahr und auf den Krieg in der Ukraine reagierten.

Trendumkehr?

Für einige Kommentator*innen ist dies ein gutes Zeichen: Steigende Zahlen könnten eine Trendumkehr andeuten: Allmählich verstünden Menschen, dass es notwendig ist, Nonprofit-Organisationen zu unterstützen.

Diese Hoffnung könnte verfrüht sein. So zeigen die langfristigen Zahlenreihen, die GFK und Spendenrat in der „Bilanz des Helfens“ zur Verfügung stellen, dass zwar einzelne Ereignisse die Zahlen nach oben treiben. Aber schon in den Jahren danach setzt sich der langfristige Abwärtstrend fort. Es scheint sich also um Strohfeuer zu handeln oder um einmalige Reaktionen von Menschen, die sonst nicht erreicht werden können.

Warum jetzt mehr Menschen spenden

Epstein hat schon vor einigen Jahren bei einer Untersuchung dieses Phänomens auf die Bedingungen hingewiesen, die gegeben sein müssen, damit es zu diesem Zuwachs an Spender*innen kommt: Es muss sich um Ereignisse mit hohem Neuigkeitswert – wie Katastrophen und Kriege – handeln, über die mit Fernsehbildern berichtet wird. Zusätzlichen Effekt haben die Betroffenen: Mit zunehmender sozialer Ähnlichkeit steigt die Bereitschaft zum Geben.

Warum diese Bedingungen den beobachteten Effekt auslösen, kann erklärt werden: Unser Hirn ist so strukturiert, dass wir unsere Aufmerksamkeit auf neue, besondere Ereignisse richten, da von ihnen Gefahr drohen könnte. Deshalb reagieren wir stärker auf negative Nachrichten als auf positive. Fernsehbilder emotionalisieren und zeigen uns das Ausmaß von Leid, das Menschen trifft. Auf diese emotionale Darstellung von Leid reagieren wir solidarisch, da eine starke soziale Norm uns gebietet, Menschen, die unverschuldet in Not geraten sind, zu helfen. Soziale Ähnlichkeit verstärkt diese Reaktion, da wir uns stärker mit sozial ähnlichen Menschen verbunden fühlen und deshalb eher solidarisch reagieren.

Damit lässt sich erklären, warum im Moment die Anzahl der Spender*innen wieder steigt: Sowohl von der Flut im Ahrtal als auch vom Krieg in der Ukraine sind Menschen betroffen, die uns ähnlich sind, es sind starke negative Ereignisse, die unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen und von den Zerstörungen und dem Leid der Menschen gibt es emotional berührende Fernsehbilder. Dies bedeutet aber auch, dass der Neuigkeitswert nach einer relativ kurzen Zeitspanne wieder abnimmt, und damit auch die Spenden wieder zurückgehen werden.

Unterschiedliche Gebe-Logiken

Für das Fundraising bedeuten diese Befunde, dass Menschen aus unterschiedlichen Gründen bzw. mit unterschiedlichen Gebe-Logiken spenden. Die Spender*innen, die eine langfristige Beziehung zu den Organisationen aufgebaut haben, die Werte mit den Organisationen teilen und die die Ziele der Organisationen mittragen, geben aus einer anderen Logik als diejenigen, die auf Katastrophen reagieren. Es könnten sogar die gleichen Menschen sein, aber die Logik ihres Gebens ist unterschiedlich. Hierauf kommt es mir hier an.

Im Fall der Spender*innen, die auf Katastrophen reagieren, haben wir es mit Spender*innen zu tun, die fast ausschließlich kontextbezogen spenden. Sie reagieren auf das Ereignis mit Solidarität und Unterstützung für die Betroffenen; beides Reaktionen, die wichtig für den Zusammenhalt von Gesellschaften sind. Sobald der Kontext sich verändert, spenden sie nicht weiter, da ihr Spenden ausschließlich an den Kontext bzw. die Katastrophe gebunden ist.

Aus diesem Grund bauen sie auch keine Beziehung zu der Organisation auf, der sie spenden. Ihre Bezugspunkte sind die Katastrophe und die Menschen, die darunter leiden. Die Organisationen dienen lediglich als Adressaten ihrer Spenden in der Hoffnung, dass durch sie schnell Hilfe geleistet werden kann – was sich auch als Trugschluss erweisen kann, wie die Situation an der Ahr zeigt.

Dass die Organisationen, Stiftungen und Sozialunternehmen nicht im Fokus der Entscheidung stehen, wird nicht zuletzt auch daran deutlich, dass Menschen in so einer Situation auch Medienhäusern spenden, die hierzu aufrufen, oder staatlichen Akteuren. Beides mutet aus Sicht der Zivilgesellschaft etwas skurril an: Medienhäuser nutzen hier Fundraising zur Bindung von Rezipienten, staatliche Akteure verschaffen sich zusätzliche Einnahmen jenseits der Steuern, die zur Finanzierung staatlicher Aufgaben erhoben werden.

Warum sich Spender*innen nicht binden

Wenn die Spender*innen aber kaum eine Beziehung zur Organisation aufgebaut haben und ihr Spenden kontextbezogen ist, erklärt sich, warum sie sich kaum binden. Der Grund ist relativ einfach: Außerhalb der Hilfe in der Situation verbindet sie nichts mit der Organisation. Alle Aufrufe jenseits der erfolgten Hilfe für die betroffenen Menschen ist für diese Gruppe von Spender*innen irrelevant. Und irrelevante Kommunikation wird bestenfalls ignoriert. Wenn aber die kontextbezogenen Spender*innen die Anschlusskommunikation gar nicht wahrnehmen, gibt es auch keine Möglichkeit, sie zu einer weiteren Spende zu bewegen. Erst wenn wieder eine ähnliche Katastrophe eintritt, besteht eine realistische Chance, diese Spender*innen zu reaktivieren, da davon ausgegangen werden kann, dass sie sich besser ansprechen lassen, da sie wie schon einmal reagiert haben.

Fundraising stärker differenzieren

Für uns im Fundraising bedeutet dies, Spendende stärker zu differenzieren. Nicht alle Menschen, die einmalig spenden, werden damit zu regelmäßigen Spender*innen. Und sie reagieren auf Basis einer anderen Gebe-Logik als diejenigen, die sich langfristig binden. Dies sind nur zwei von acht Gebe-Logiken, die sich analytisch differenzieren lassen. Einige von ihnen sind stärker kontextbezogen und andere eher identitätsbezogen. Entsprechend unterschiedlich ließe sich das Fundraising strategisch entwickeln. Wer sich für die unterschiedlichen Gebe-Logiken interessiert, kann dies gern in meinem Buch „Warum Menschen spenden“ nachlesen oder nimmt einfach Kontakt auf.

 

Eine nachhaltig finanzierte Zivilgesellschaft, die die Welt ein Stück besser macht und ohne Ausbeutung und Selbstausbeutung auskommt, ist die Mission von Dr. Kai Fischer. Deshalb beschäftigt er sich seit mehr als 20 Jahren mit dem Aufbau langfristiger Beziehungen zu Förder/innen und bietet hierfür Strategie-Beratungen, Inhouse-Workshops und Seminare an.

 

Dr. Kai Fischer

Sprechen Sie mich gerne an, ich freue mich von Ihnen zu hören!

Publikationen zum Thema

Buch

Mission Based Fundraising

Auch interessant:

2020: Höhere Spenden von weniger Spender*innen – Warum wir Fundraising neu denken müssen

Neue Zahlen zeigen: Das Volumen der Spenden steigt, gleichzeitig nimmt die Zahl der Spendenden weiter ab – besonders in der Gruppe der über 70-jährigen. Mit möglichen Folgen beschäftigt sich Kai Fischer.

Mehr lesen 2020: Höhere Spenden von weniger Spender*innen – Warum wir Fundraising neu denken müssen

5 Fragen an Kai Fischer: Warum Menschen spenden

Kai Fischer hat sich mehrere Jahre intensiv mit den gesellschaftlichen Hintergründen des Spendens beschäftigt. Nach seinen Erkenntnissen fragt Katrin Jutzi.

Mehr lesen 5 Fragen an Kai Fischer: Warum Menschen spenden

Spenderbindung

Mehr

erfahren!

Warum gehen Spender wieder verloren?

Was nutzt es, wenn Sie immer wieder neue Spender/innen gewinnen und diese dann schnell wieder verloren gehen?

Deshalb spielt bei einem nachhaltig erfolgreichen Fundraising die Bindung der Spender/innen eine große Rolle.

Strategie im Fundraising mit Mission Based Consulting

Strategie

Mehr

erfahren!

Grundlage für jeden Erfolg: eine stringente Strategie

Grundlage für jeden Erfolg ist eine stringente Strategie. Wenn Sie wissen, wer Ihnen warum spendet und wie Sie diese Person erreichen können, steht Ihrem Erfolg nichts mehr im Wege.

Die Entwicklung von Fundraising-Strategien spielt in unserer Beratung eine wichtige Rolle.

Neuspendergewinnung mit Mission Based Consulting

Neuspendergewinnung

Mehr

erfahren!

Neuspendergewinnung ist ein zentrales Thema.

Ob Menschen andere Schwerpunkte in ihrem Leben setzen, sich umorientieren oder versterben – es gibt eine Reihe von Gründen, warum sich Menschen entscheiden, nicht mehr zu spenden.

Um die Anzahl der Spenden konstant zu halten, kommt kaum eine Organisation um die Gewinnung neuer Spender/innen herum.

Spenderbindung mit Mission Based Consulting